JESSICA DETTINGER_MICHAL PLATA // LABOR FÜR MAGISCHEN REALISMUS

Das Labor ist ein Möglichkeitsraum, in dem Hypothesen überprüft, Messungen durchgeführt und Experimente angestellt werden. In einem Prozess kontinuierlicher Wissenserzeugung geschehen aber auch unerwartete Entdeckungen, die erst in einer nachträglichen Kontextualisierung als zukunftsweisende Neuerungen erkannt werden können. Jessica Dettinger und Michal Plata interessiert gerade der experimentelle Charakter der Laborsituation, den sie für ihre künstlerische Herangehensweise nutzbar machen.

Mit dem „Labor für Magischen Realismus“ verwandeln sie bestehende Räumlichkeiten in experimentelle Felder, in denen sie spielerisch unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit erkunden und gleichzeitig etablierte Wissensgefüge einer Transformation unterziehen. Der Terminus des „Magischen Realismus“ rekurriert auf eine Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit, die durch eine wirkungsvolle Verbindung von realistischen und surrealistischen Formelementen eine Veränderung der aktuellen Lebenswirklichkeit herbeizuführen sehnte: Diffizil komponierte Räumlichkeiten und eigentümliche, traumhaft-magische Lichteffekte sind charakteristisch für die Malerei des Magischen Realismus, in der die Auseinandersetzung mit Technik und Maschinen einen weiteren thematischen Schwerpunkt bildet.

Die Verwendung von Maschinen spielt auch im Versuchsaufbau No.1 von Jessica Dettinger und Michal Plata eine zentrale Rolle, allerdings nicht als Bildelement mit metaphorischem Bedeutungsgehalt, sondern ganz pragmatisch als Hilfsmittel zur Erzeugung einer konkreten Realitätstransformation. Die Künstler haben den Off-Space CENTERCOURT in ein Labor verwandelt, in dem sie Experimente mit Wasser und Licht anstellen, um konventionalisierte Sehgewohnheiten zu dekonstruieren und mit den Wahrnehmungsmodi von Wirklichkeit zu spielen.

Der Innenraum des CENTERCOURT wurde bis auf eine kleine Fläche an der Decke vollkommen in schwarze Farbe gehüllt und der Boden mit schwarzer Teichfolie überzogen. Auf deren Oberfläche sammelt sich fünf Zentimeter hoch Wasser, welches über eine komplexe Schlauchkonstruktion zur Decke geleitet wird, sich dort über ein verästeltes Labyrinth aus leuchtenden Gummiröhren schlängelt, um über eingebaute Düsen wieder auszutreten und regenschauerartig auf den planen Boden der Ausstellungsfläche zu prasseln. Ein in der vorderen Wandecke des Raumes platziertes Stroboskop übernimmt die Lichtregie des Raumes, unter der sich die dünnen Wasserstrahlen in regelmäßigen Intervallen abwechselnd in schwebende Kristalle, laut tanzende Splitterstücke oder in sanfte Tropfen verwandeln, die in einer kontinuierlichen Bewegung vom Boden hinauf zur Decke wandern. Die Künstler konfrontieren den Betrachter so mit einer irritierenden Bandbreite surrealer Erscheinungsformen der Wirklichkeit.

Indem Jessica Dettinger und Michal Plata die theoretischen Anregungen der Stilrichtung des Magischen Realismus performativ zur Anwendung bringen, eröffnen sie auch eine Alternative zu den beiden bisherigen Auffassungen zum Umgang mit Kunst: War die platonische Annahme zum Wirken von Kunst von der Überzeugung getragen, dass Bilder grundsätzlich Sachverhalte nur repräsentieren und als visuelle Surrogate lediglich subjektiv vermittelte Abbilder der Welt liefern, verwarf die Kunst der Moderne dezidiert dieses Abbildungsmoment und versuchte sich durch Abstraktion und mediale Selbstreflexion von Bindungen an außerbildliche Wirklichkeiten radikal zu befreien. Für Jessica Dettinger und Michal Plata hingegen will Kunst weder etwas abbilden, noch auf außerbildliche Realität verzichten, sondern im Gegenteil in direkter Einwirkung und Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit auf sie selbst einwirken, mit ihr interagieren und so Irritationen, Staunen oder Verwirrung beim Betrachter erzeugen. Sie verstehen Kunst nicht als ein Als ob, sondern in einer dialektischen Gedankenbewegung als das „Andere“ der Realität in der Realität selbst. 

Rosali Wiesheu